Vom Handwerker zum Lokführer

Artikel vom 15. September 2021
Service und Dienstleistungen, IT, Messen

Der Bedarf ist da, aber in Deutschland fehlen Triebfahrzeugführer. Die Bahngesellschaften Go-Ahead in Bayern und in Baden-Württemberg setzen auf Qualifizierungskurse für Quereinsteiger. Zu den Teilnehmern gehören auch Geflüchtete.

Die Collage zeigt die Zugtypen, die bei Go-Ahead in Bayern eingesetzt werden: Siemens Desiro HC, Siemens Mireo und Stadler Flirt (von links) (Bilder: Go-Ahead, Siemens, Stadler).

Die Collage zeigt die Zugtypen, die bei Go-Ahead in Bayern eingesetzt werden: Siemens Desiro HC, Siemens Mireo und Stadler Flirt (von links) (Bilder: Go-Ahead, Siemens, Stadler).

Das Unternehmen mit Sitz in Augsburg wurde 2019 als Tochterunternehmen der Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland GmbH gegründet, die wiederum eine Tochter des britischen Unternehmens Go-Ahead ist. In Großbritannien befördert Go-Ahead rund 30 Prozent aller Bahnreisenden und täglich über zwei Millionen Buspassagiere.

Die Stadler-Züge, die bei Go-Ahead Bayern fahren, werden im Stadler-Werk Pankow produziert (Bild: Stadler/Silja Kollner).

Die Stadler-Züge, die bei Go-Ahead Bayern fahren, werden im Stadler-Werk Pankow produziert. (Bild: Stadler/Silja Kollner)

»Um die Verpflichtungen im bayerischen Bahnnetz erfüllen zu können, benötigen wir rund 180 Lokführer, 40 für das Allgäu und 140 für das Augsburger Netz«, erläutert Winfried Karg, Pressesprecher der Go-Ahead Bayern GmbH. Auf ausreichende Bewerbungen von ausgebildeten Lokführern will sich das Unternehmen nicht verlassen und hat deshalb eine Qualifizierungsoffensive gestartet. Mit einem Aus- und Weiterbildungsprogramm sollen Quereinsteiger für den Beruf des Lokführers gewonnen werden. Der erste Kurs mit 15 Teilnehmern startete im Januar 2020. Sie alle verfügen bereits über eine Berufsausbildung im Handwerk, im Einzelhandel oder in der Industrie. In dem Kurs werden sie zu Triebfahrzeugführern ausgebildet, wie der Beruf des Lokführers offiziell heißt.

Frauen sind natürlich auch willkommen

Die Ausbildung zum Triebfahrzeugführer wird von zertifizierten Bildungsträgern durchgeführt, in diesem Fall von DB Training, seit mehr als 20 Jahren einer der führenden Anbieter von Qualifizierungs- und Beratungsleistungen im europäischen Mobilitäts- und Logistikmarkt. Die Ausbildung dauert elf Monate und ist in zwei Phasen unterteilt, einen theoretischen und einen praktischen Teil.

Neben der Theorie ist auch die Praxis bei der Ausbildung wichtig (Bild: Go-Ahead).

Neben der Theorie ist auch die Praxis bei der Ausbildung wichtig. (Bild: Go-Ahead)

Bild: Go-Ahead.

Bild: Go-Ahead

Nach der Theorie wird in der zweiten Phase die Praxis bei Go-Ahead und die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern trainiert. Nach erfolgreich abgelegter Prüfung stellt Go-Ahead die Teilnehmer als Triebfahrzeugführer ein. »Im ersten Kurs waren auch zwei Frauen, was uns sehr gefreut hat«, sagt Karg. Go-Ahead sei grundsätzlich sehr offen für Frauen. Sie könnten, so Karg, den Beruf genauso ausüben wie Männer. Das traditionelle Bild vom Lokführer hält er für veraltet.

Geplant für 2020 waren vier Kurse. Der zweite hätte eigentlich drei Monate nach dem ersten beginnen sollen, wurde aber wegen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie verschoben und startete dann im Mai. Die Umschüler erhielten Kurzarbeitergeld, das vom Arbeitgeber Go-Ahead auf den vollen Umfang des sonst ausgezahlten Gehalts aufgestockt wurde.

Unterschiedliche Motive für den Berufswechsel

Auch die Schwestergesellschaft Go-Ahead Baden-Württemberg, wie der bayerische Zweig rechtlich selbständig, setzt auf Qualifizierungskurse für angehende Triebfahrzeugführer.

Der erste Qualifizierungskurs bei Go-Ahead in Bayern: Die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begannen mit der Ausbildung zum Triebfahrzeugführer (Bild: Go-Ahead/Winfried Karg).

Der erste Qualifizierungskurs bei Go-Ahead in Bayern: Die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begannen mit der Ausbildung zum Triebfahrzeugführer. (Bild: Go-Ahead/Winfried Karg)

Beim jüngsten Kurs kommen die 15 Teilnehmer nicht nur aus unterschiedlichen Berufen, sondern haben auch unterschiedliche Motive für den Berufswechsel.

So hat Ioannis Bouratzidis aus ganz pragmatischen Gründen seinen Job als Maschinenführer in Aachen aufgegeben: Der Liebe wegen zog er nach Stuttgart. Da er technikaffin ist und einige Triebfahrzeugführer bei Go-Ahead kennt, lag es für ihn auf der Hand, sich dort zu bewerben. Pierce Kampa dagegen hatte ganz andere Gründe, sich bei Go-Ahead zu bewerben. Als gelernter Stadtbahnfahrer bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG und Reisebusfahrer wollte er im Fahrdienst noch einen Schritt weitergehen und »richtiger« Lokführer werden, wie er sagt.

Marian Nagel aus Karlsruhe betont, ein lachendes und weinendes Auge bei seinem Berufs- und Arbeitgeberwechsel zu Go-Ahead zu haben. Er war als Betreuer in einer Jugendeinrichtung tätig und wurde betriebsbedingt gekündigt. Obwohl er gern mit Jugendlichen zusammengearbeitet hat, freut er sich auf seine neue Aufgabe, weil er nun seinen Kindheitstraum als Lokführer leben kann. Moises Augusto Lopes fügt an, erst in seiner vergangenen Tätigkeit als Kundenbetreuer im Zug bei einem anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen in Baden-Württemberg auf die Faszination des Triebfahrzeugführerberufs aufmerksam geworden zu sein: »Ich habe mich in den Pausen immer wieder mit Lokführern unterhalten und nach technischen Dingen gefragt. Da habe ich gemerkt, das ist was für mich.«

Viele Lehrgangsteilnehmer äußerten, nach ihrem Ziel der Ausbildung gefragt, übereinstimmend die Faszination, einen langen Zug selbst durch die Landschaft steuern zu können. Ein klein wenig leuchten dann die Augen der gestandenen Männer – sie sind in diesem Kurs unter sich, Frauen sind diesmal nicht dabei.

Sprachhürde für Geflüchtete nicht einfach zu bewältigen

Darüber hinaus ist Go-Ahead Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart bestrebt, auch Geflüchtete zum Triebfahrzeugführer auszubilden. Rückenwind erhält die Bahngesellschaft dabei vom Land Baden-Württemberg. Verkehrsminister Winfried Hermann hat ein entsprechendes Modellprojekt ins Leben gerufen, das Geflüchtete zum Triebfahrzeugführer qualifizieren soll. Als erste Teilnehmer für Go-Ahead Baden-Württemberg nehmen an dem Kurs vier Männer teil, sie stammen aus Syrien und Sri Lanka. Die Theorieprüfung haben sie bereits bestanden. »Darüber freuen wir uns besonders, da diese aufgrund der sprachlichen und eisenbahnspezifischen Anforderungen nicht einfach zu bewältigen war«, erklärte Ines Lange, Aus- und Fortbildungskoordinatorin. Neben der Theorieprüfung absolvierten sie auch die Simulatorprüfung zur Zusatzbescheinigung. Dann folgen die Fahrzeugschulungen auf Flirt-Fahrzeugen und 320 Stunden umfassende Ausbildungsfahrten.

Information zur Ausbildung

Die wichtigsten Themenfelder sind:

  • Grundlagen und Vertiefung des Bahnbetriebes (Infrastruktur, Fahrzeuge, Signale und Regelwerkskunde),
  • Sicherungssysteme der Deutschen Bahn PZB und LZB,
  • Fahrzeugausbildung und Grundlagen E-Lok,
  • Bremsprobeberechtigung und Rangierbegleitung,
  • Simulator-Training und Lehrfahrten,
  • Arbeitsschutz, Unfallverhütung, Erste Hilfe und
  • Notfallmanagement sowie Stressbewältigung.

Voraussetzungen für die Teilnahme sind:

  • Mindestalter 20 Jahre,
  • gutes Deutsch (Sprachniveau B2/Stufe 3 gem. TSI OPE), Hauptschulabschluss und abgeschlossene Berufsausbildung,
  • technische Vorbildung oder aber technisches Grundverständnis,
  • Bereitschaft, in Wechselschichten und an Wochenenden zu arbeiten,
  • ausgeprägtes Sicherheitsbewusstsein und Konzentrationsvermögen,
  • Zuverlässigkeit und Verantwortungsgefühl.

Go Ahead garantiert nach erfolgreichem Abschluss der Umschulung und dem Erwerb des Triebfahrzeugführerscheins eine unbefristete Festanstellung mit tariflicher Vergütung.

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