Offenheit für die Schiene mit sicherer Automation

Artikel vom 30. November 2023
Gleisbau

Moderne Leit- und Sicherungssysteme sind eine Grundvoraussetzung für eine Mobilitätswende. Gefragt sind dabei aktuelle, sichere und umweltfreundliche Technologien, die herstellerübergreifend eingesetzt werden können. Industrieerprobte Automatisierungslösungen sind hierzu ein entscheidender Schlüssel. Mit ihnen können die Infrastruktur flexibel digitalisiert und Abläufe effizienter gestaltet werden.

Die Programmierung und Konfiguration des Automatisierungssystems »PSS 4000« erfolgt über die dazugehörige Software »PAS 4000« (Bild: Pilz).

Die Programmierung und Konfiguration des Automatisierungssystems »PSS 4000« erfolgt über die dazugehörige Software »PAS 4000« (Bild: Pilz).

Bestehende Signal- und Steuerungstechnik im Bahnverkehr, insbesondere auf den Regionalstrecken, basiert größtenteils auf klassischer, proprietärer Stellwerkstechnik. Die Technologien wurden also speziell für den Einsatz im Schienenverkehr konzipiert, entwickelt und gefertigt. Dabei sind sie meist nicht herstellerübergreifend einsetzbar. Eine Herausforderung, die sich auch auf die Wirtschaftlichkeit auswirkt, stellen im Bahnbereich die normativen Anforderungen, projektspezifische Besonderheiten in den individuellen Anwendungen und fehlende Standardisierung dar. Vielfach ist in der Sicherungstechnik auch heute noch Relaistechnik mit zwangsgeführten Kontakten im Einsatz. Die Hardware ist allerdings verschleißanfällig und verkabelungsintensiv.

Warum Retrofit?

Nicht nur die Mobilitätswende spricht dabei für ein Retrofit, also die Modernisierung der bestehenden Infrastruktur. Fragestellungen sind vielmehr, wie die Infrastruktur auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden kann, eine höhere Wirtschaftlichkeit erreicht wird und neue Funktionalitäten für einen reibungslosen Betriebsablauf integriert werden können. Dabei gilt es abzuwägen, ob die Leit- und Sicherungstechnik komplett erneuert oder eben schrittweise modernisiert wird. Im Mittelpunkt steht die Verfügbarkeit der Lösung. Um Ausfälle zu vermeiden, bietet sich im Bahnbereich die schrittweise Modernisierung im laufenden Betrieb an.

Industrieerprobte Technologie für die Schiene

Für die notwendige Modernisierung der Technik im Schienennetz sind Steuerungslösungen aus der Industrie eine Alternative. Sie tragen dazu bei, die bislang vorherrschenden Kostenblöcke in der Beschaffung, im Engineering sowie in Betrieb und Service deutlich zu reduzieren. Voraussetzung für den Einsatz dieser Lösungen ist, dass sie den hohen Sicherheitsanforderungen nach den 5012X CENELEC-Normen im Schienenverkehr genügen. Sicherheit und Wirtschaftlichkeit ergänzen sich hier: Speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS), wie sie in der Industrie zum Beispiel für den Maschinenbau eingesetzt werden, zeichnen sich dank der großen Verbreitung im industriellen Umfeld sowie des Einsatzes von standardisierten und somit bewährten Industriekomponenten durch niedrigere Beschaffungskosten aus. Software-Werkzeuge vereinfachen und reduzieren den Projektierungsaufwand, verbessern Diagnosemöglichkeiten und erleichtern Wartung und Instandhaltung.

Modulare Lösung für schrittweise Modernisierung

Für die schrittweise Modernisierung bahntechnischer Steuerungs- und Überwachungsinfrastruktur im Bahnbetrieb weist das sichere Automatisierungssystem »PSS 4000« von Pilz gleich mehrere Vorzüge auf: Die Maßnahmen lassen sich Schritt für Schritt und punktuell realisieren. Die gesamte elektronische Peripherie, bestehend aus Signal-, Leit- und Meldetechnik, wie auch die Verkabelung der Schaltschränke untereinander bleiben unangetastet. Das Automatisierungssystem erfüllt somit auch eine Schnittstellenfunktion zwischen verschiedenen Schaltschränken oder -räumen. Gleichzeitig verfügt das Automatisierungssystem über die bahnspezifischen Zertifizierungen und kann in Applikationen bis SIL 4 eingesetzt werden. Die modular aufgebaute Technik ist hochgradig standardisiert, maßgeschneiderte Anpassungen an besondere Aufgaben sind problemlos möglich. Gegenüber proprietären Lösungen liegt der Vorteil darin, dass die Ein- und Ausgänge der SPS individuell an die Anforderungen angepasst werden können und so ein hohes Maß an Flexibilität ermöglichen.

Neue Steuerung für verschiedene Weichentypen

In der Praxis ergeben sich verschiedene Einsatzfelder für die SPS, beispielsweise an Bahnübergängen oder in Weichensteuerungen. So stand die Schweizer VT Verkehrs- und Industrietechnik AG, Expertin für Gleis- und Weichenbau, vor der Aufgabe, die zentrale Steuerung und Überwachung für acht Weichen unterschiedlichen Typs zu erneuern. Falsch gestellte Weichen bedeuten nicht nur Störungen im Betrieb, sondern können ein signifikantes Sicherheitsrisiko darstellen. Umso wichtiger war es den Betreibern der Dolderbahn und der Rigi Bahnen AG, dass die Weichensteuerung auf den neuesten Stand der Technik gebracht wird und die geltenden CENELEC-Normen erfüllt werden. Eine Herausforderung stellten dabei die drei verschiedenen Typen der insgesamt acht Weichen, darunter Schwenkweichen, dar, die bislang unterschiedlich gesteuert wurden.

Modernisierungsmaßnahmen an einer Schwenkweiche im laufenden Betrieb (Bild: Pilz).

Modernisierungsmaßnahmen an einer Schwenkweiche im laufenden Betrieb (Bild: Pilz).

Die VT AG und Pilz erarbeiteten gemeinsam eine generische Lösung: Für die zentrale Steuerung und Überwachung der Weichen kommt nun das Automatisierungssystem »PSS 4000« im Schaltkasten neben den Gleisen zum Einsatz. Der Vorteil dieser Steuerungslösung liegt darin, dass sie nur einmal zertifiziert werden muss und dadurch künftig auf weitere Weichentypen übertragen werden kann. So funktioniert die Steuerung weiterhin, wenn beispielsweise eine Weiche ausgetauscht wird. Auf diese Weise sorgt das innovative Retrofit für reibungslose Abläufe im Betrieb und bietet Flexibilität für künftige Verbesserungen.

Sichere Fernsteuerungslösung für reibungslose Abläufe

Ein weiteres Beispiel für ein gelungenes Retrofit ist die Integration einer sicheren Fernsteuerungslösung für den automatisierten Bahnbetrieb in eine bestehende analoge Steuerungsinfrastruktur bei einem privaten deutschen Eisenbahnverkehrsunternehmen. Erteilt der Fahrdienstleiter im Hauptstellwerk Weichen-, Signal- oder Fahrstraßenbefehle, werden diese über digitale Eingangsmodule erfasst, an die entfernten Stellwerke übertragen und dort wieder über Relaisausgänge zur Verfügung gestellt. Das Automatisierungssystem »PSS 4000« prüft dabei jeden Befehl auf Plausibilität. Die Kommunikation der Steuerungsmodule erfolgt über das Ethernet-basierte Kommunikationssystem »SafetyNet p« sowie Fast Ethernet Switches. Lichtwellenleiter (LWL) stellen schnelle Verbindungen zwischen den Stellwerken her.

Gegenüber der bisher eingesetzten Lösung wird der aktuelle Zustand von mehreren Dutzend Gleisen, Weichen und Signalen nun in den beiden »remote-Stellwerken« schneller an den Fahrdienstleiter am Stelltisch übertragen. Die integrierte softwarebasierte Diagnoselösung ermöglicht dabei die einfache Fehlersuche und -behebung. Von Vorteil war für den Verkehrsbetrieb, dass die Systeme pro Stellwerk vorab praktisch komplett aufgebaut und getestet werden konnten. Am Tag der Inbetriebnahme der neuen Lösung wurde die Verbindung zu der alten Fernsteuerung gekappt und mit der neuen Steuerung des Automatisierungssystems verbunden – ohne Unterbrechung des Bahnbetriebs.

Modernisierung bedeuted Digitalisierung

Über diese klassischen Modernisierungsmaßnahmen hinaus gewinnen hersteller- und länderübergreifende Ansätze bei der gelungenen Digitalisierung im Bahnbereich an Bedeutung und lösen proprietäre Lösungen ab. Der europäische »Eulynx«-Standard stellt eine solche herstellerunabhängige Schnittstelle zwischen verschiedenen Komponenten der Leit- und Sicherungstechnik bereit. Pilz stellt mit dem »Eulynx«-Adapter eine Lösung vor, um bestehende Stellwerke in die Kommunikation mit sogenannten Object-Controllern einzubinden. Diese übersetzen die digitalen Steuerbefehle aus den Stellwerken in analoge Signale für die gleisseitigen Komponenten wie Weichen oder Lichtsignale. Die Basis des »Eulynx«-Adapters ist das Automatisierungssystem »PSS 4000«. Anwender erhalten mit der modular aufgebauten und individuell konfigurierbaren SPS-Steuerung eine passende Lösung für ihre spezifische Bahnanwendung. Ein Vorteil der Lösung liegt darin, dass die Umrüstung sukzessive an der Strecke vorgenommen werden kann ohne kostenintensive und lange Streckensperrungen. Investitionen in die digitale Bahninfrastruktur können damit schrittweise getätigt werden. Auf Grund seiner Offenheit und Kompatibilität stellt der »Eulynx«-Adapter einen wichtigen Baustein für die schnelle Umsetzung der länder- und herstellerübergreifenden Digitalisierung in der Leit- und Sicherungstechnik dar.

Fazit

Um die Digitalisierung der Bahn voranzutreiben, stellen offene Technologien einen wichtigen Baustein dar. Industrieerprobte Lösungen können flexibel an die Anforderungen der digitalen Schiene angepasst werden und verfügen über die erforderlichen Bahnzulassungen. Zudem bieten speicherprogrammierbare Steuerungen wichtige Zusatzfunktionen wie eine Echtzeitdiagnose, die effizientere Betriebsabläufe sicherstellt. Der modulare Aufbau der Steuerungslösung bietet zudem ein hohes Maß an Standardisierung für die Übertragung auf weitere Projekte.

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