Sonnenenergie fürs E-Postauto

Artikel vom 15. September 2021
E-Busse

Postauto Schweiz hat mit dem Elektrobus-Projekt in Brugg einen wegweisenden Schritt in Richtung Zukunft gemacht. Auf den Linien 361 nach Unterwindisch und 368 nach Schinznach-Bad wird seit Juni 2021 leise und umweltschonend mit Solarstrom gefahren.

Das Postautoterminal mit PV-Anlage, Ladestation und E-Bus aus der Vogelperspektive gesehen (Bild: IBB Energie AG).

Das Postautoterminal mit PV-Anlage, Ladestation und E-Bus aus der Vogelperspektive gesehen (Bild: IBB Energie AG).

Seit genau 115 Jahren fahren in der Schweiz die gelben Postautos. Mit heute 936 Linien, einer Netzlänge von 17.000 Kilometern und mit rund 2400 Fahrzeugen ist PostAuto führend im öffentlichen Personenverkehr auf Schweizer Straßen. Bei der Umstellung von Diesel- auf neue Antriebstechniken will PostAuto eine Vorreiterrolle einnehmen: So sollen bis 2024 hundert Fahrzeuge mit alternativen Antrieben – vom Midi- bis hin zum Gelenkbus – im Betrieb sein. Bei der Förderung der alternativen Antriebe ist PostAuto auf die Kantone als Besteller des Angebots sowie auf Partner aus der Energieversorgung und der Ladeinfrastruktur angewiesen. »Der Knotenpunkt am Bahnhof Brugg ist mit seinem Ausbaupotenzial und genügend Standzeit für eine Zwischenladung optimal für die Umstellung auf Elektrobetrieb«, so Eveline Wüest, Leiterin Alternative Antriebe bei der Zentrale von PostAuto in Bern. Mit der Wahl von »OppCharge« als Ladestandard kann PostAuto den Ausbau des E-Bus-Systems rund um Brugg auch markenunabhängig vorantreiben. »OppCharge« ist ein europaweit verbreiteter Standard zum schnellen Unterwegs- oder Gelegenheitsladen der Fahrzeugbatterien. Die Geometrie der Ladekontakte, die Anordnung des Pantographen als Teil der Ladestation, die Fahrzeugpositionierung sowie das Kommunikationsprotokoll zwischen Bus und Ladestation sind im »OppCharge«-Standard genormt.

Der Flüsterbus macht Freude

Beim E-Postauto handelt es sich um einen dreitürigen, zwölf Meter langen »Scania Citywide BEV« in durchgehender Niederflurbauweise. Das Fahrzeug ist mit einem leistungsstarken 300-kW-Permanentmagnet-Motor mit Ölspritzkühlung sowie mit einem 2-Gang- Getriebe ausgerüstet.

Formschön und technisch ausgereift: Der neue Scania Citywide BEV in Brugg (Bild: PostAuto AG).

Formschön und technisch ausgereift: Der neue Scania Citywide BEV in Brugg (Bild: PostAuto AG).

Damit können selbst bei vollgeladenem Bus noch Steigungen von sechzehn Prozent problemlos gemeistert werden. Um eine optimale Gewichtsverteilung und eine gute Fahrdynamik zu erhalten, haben die Ingenieure von Scania vier Batteriepakete auf dem Dach und vier im Fahrzeugheck angeordnet. Die Konfiguration mit nur acht Batteriepaketen ergibt ein Fahrzeuggewicht, das mit dem eines konventionellen Dieselbusses vergleichbar ist. Mit einer Reichweite von rund 130 km und der Möglichkeit des schnellen Zwischenladens ist der Batteriebus für den zuverlässigen und stressfreien Betrieb bei PostAuto-Unternehmer Vögtlin-Meyer aus Brugg bestens ausgerüstet. Der Ladevorgang ist extrem kurz: In vier Minuten kann Traktionsenergie für mindestens 12 Kilometer Fahrstrecke geladen werden. Um eine hohe Energierückgewinnung beim Bremsen zu erzielen, unterstützt das eingebaute Assistenz-System das Fahrpersonal. Der Ladezustand der Traktionsbatterien kann jederzeit auf dem Fahrzeugdisplay abgelesen werden.

Elegantes Laden mit Weitblick

Die All-In-One-Ladestation (AIO) von Furrer+Frey AG mit ihrer Leistung von maximal 300 kW steht an der Haltekante der Linie 361 am Südostende des bestehenden Busperrons. Das E-Postauto fährt während der Woche von 05:05 bis 23:05 im Halbstundentakt ins vier Kilometer entfernte Unterwindisch. »Die Fahrzeit pro Rotation beträgt 18 Minuten«, so Eveline Wüest. »Damit beträgt die Standzeit, d. h die maximale Ladezeit, komfortable 12 Minuten.« Die Farbgebung der dezent wirkenden Ladestation ist dem 2014 von Walker Architekten Brugg gebauten Terminaldach angepasst. Beide Bauteile sind somit ästhetisch ansprechend einheitlich gestaltet.

Die neue AIO Schnellladestation von Furrer+ Frey passt auch optisch gut zum bestehenden Busterminal. Alle Komponenten sind integriert, die Montage einfach (Bild: Furrer+Frey AG.

Die neue AIO Schnellladestation von Furrer+Frey passt auch optisch gut zum bestehenden Busterminal. Alle Komponenten sind integriert, die Montage einfach (Bild: Furrer+Frey AG).

Die nun seit Mai 2021 in Betrieb stehende erste Ladestation ist so in das Busterminal am Bahnhof Brugg integriert, dass auch weitere Ladestationen ästhetisch ansprechend dazu kommen könnten. Die AIO besticht durch ihre einfache Konzeption und eine Robustheit, wie sie bei Infrastrukturbauten gefordert ist: »Alle Komponenten sind in der Ladestation technisch elegant integriert«, so die Erklärung von Michael Rietmann, Teamleiter E-Mobility bei Furrer+Frey. »Mit unserer Lösung ergeben sich nicht nur Kostenvorteile im Bau und im Betrieb. Der aus Erfahrung oft schwierige und kostspielige Bau eines separaten Containers für die Leistungselektronik mit den Verbindungsleitungen fällt bei der AIO vollständig weg.«

Mit Solarstrom angetrieben

PostAuto verwendet für den Betrieb der E-Busse grundsätzlich nur zertifizierten Naturstrom. In Brugg geht das Unternehmen zusammen mit dem lokalen Energieversorgungsunternehmen IBB Energie AG noch einen Schritt weiter. Die Energie zum Betrieb des Postautos für die Linie 361 wird gleich vor Ort auf dem Terminaldach produziert. Dazu Philippe Ramuz, Geschäftsleiter Netz-Dienstleistungen bei IBB Energie AG, mit Stolz: »Die im April 2021 installierte PV-Anlage leistet mit ihren 242 Modulen auf einer Fläche von 452 m² maximal 88 kW. Pro Jahr werden damit rund 83.000 kWh IBB-Solarstrom ins Netz eingespeist. Diese Energie entspricht in etwa dem jährlichen Verbrauch des E-Postautos.« Da bei jeder PV-Anlage der Energieertrag sowohl saisonal als auch über den Tag verteilt stark schwankt, ist eine Netzanbindung von Energieerzeuger (PV-Anlage) und -verbraucher (Ladestation) technisch notwendig. Auf Ende 2021 hin wird das Projekt mit einem Batteriespeicher ergänzt. Um diesen zu konzipieren, arbeitet IBB mit dem Institut für elektrische Energietechnik der Fachhochschule FHNW zusammen. »Dank des Speichers werden die Stromspitzen im Netz in Zukunft während des Ladevorgangs verringert. Auch können überschüssige Tageserträge der PV-Anlage während der Dunkelheit genutzt werden«, so Simon Strebel von der FHNW. »Wir planen einen Speicher mit einer Energie-Kapazität von mehreren Hundert kWh. Die Herausforderung bei der Evaluation besteht darin, von der Vielzahl an Speichertechnologien die wirtschaftlich, ökologisch und technisch beste Variante für das Projekt zu wählen.« Die Baueingabe für den dafür notwendigen Container ist gemacht, im Winter 2021/22 soll der Speicher ins E-Bus-System am Bahnhof Brugg integriert sein.

Hintergrundwissen:

E-Busse sollen leicht sein

Die Fachwelt ist sich einig, dass es nicht nur heute, sondern auch im Zeithorizont von zehn Jahren notwendig sein wird, Batteriebusse bei branchenüblichen Fahrleistungen von täglich 300 bis 350 km auf der Strecke nachzuladen. Dies geschieht mit sogenannten Gelegenheitsladungen in wenigen Minuten, vorzugsweise an Endhaltestellen. »Für eine einmalige tägliche Aufladung der Batterien im Depot während der nächtlichen Betriebspause kann ein Standard- oder Gelenkbus in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus Gewichtsgründen nicht ausgelegt werden«, so Andrea Vezzini, Professor an der Berner Fachhochschule in Biel und Leiter des BFH-Zentrums Energiespeicherung. Geht man davon aus, dass ein Standardbus unter Extrembedingungen, d.h. im Winter, bis zu 200 kW/100 km an elektrischer Energie benötigt, so müsste seine nutzbare Batteriekapazität mindestens 600 kWh betragen. Unter Berücksichtigung der nicht nutzbaren Reservekapazität und der technisch bedingten Alterung der Batterie ergibt sich ein nominaler Wert der Batteriekapazität im Neuzustand von zirka 1000 kWh. Um diese Kapazität bereit zu stellen, müssen nach aktuellstem Stand der Technik Batterie-Pakete mit einem Gesamtgewicht von sieben bis acht Tonnen eingebaut werden. Bei einem gesetzlich zugelassenen Gesamtgewicht des Fahrzeugs von 19,5 t ergibt sich mit diesem hohen Batteriegewicht eine Nutzlast von maximal zwei bis drei Tonnen. Um die vom Betrieb erwünschten 100 Personen in einem 12-m-Standardbus jedoch transportieren zu können, darf das Leergewicht des Fahrzeugs höchstens zwölf Tonnen betragen. Das heißt, es können nach heutigem Stand der Fahrzeug- und Batterietechnik nominal maximal 250 kWh an Batteriekapazität ins Fahrzeug eingebaut werden. Mit dieser Batteriegröße im sogenannten »2-To-Bus« ergibt sich eine Reichweite von rund hundert Kilometern. Dieser Richtwert passt perfekt zu einer nach »OppCharge« gebauten E-Bus-Linie. Das Fahrpersonal kann bei Verspätungen Ladevorgänge auslassen und so ohne Zusatzstress pünktlich verkehren.

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