Gelbe Stromer für die Ortenau

Artikel vom 4. März 2025
Schienenfahrzeuge

Die betriebswirtschaftliche Nutzungsdauer eines Triebwagens im Schienenverkehr beträgt zwanzig Jahre. Bei der Beschaffung von Triebzügen sind nicht alleine Betriebs-, Verkehrssicherheit und Wirtschaftlichkeit das Maß aller Dinge. Auch der zügigen Umsetzung der angestrebten Dekarbonsierung des Verkehrswesens ist Rechnung zu tragen. »Weg vom Diesel«“ heißt die Parole, doch Fehlbestände bei der Elektrifizierung im Ländle erfordern neue Lösungen. Lange deutete sich an, dass dem Südwesten und der SWEG dabei eine besondere Rolle zukommt.

»Mireo Plus B« Batteriezug beim Verlassen des Bahnhofs Zell a. H. (Bild: M. Oestreich).

»Mireo Plus B« Batteriezug beim Verlassen des Bahnhofs Zell a. H. (Bild: M. Oestreich).

Die Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) ist ein Verkehrsunternehmen, welches sich in Baden-Württemberg und angrenzenden Gebieten mit dem Betrieb von Busverkehr sowie von Personen- und Güterverkehr auf der Schiene beschäftigt. Als Eisenbahninfrastrukturunternehmen betreibt die SWEG Schienenwege GmbH (SSG) Eisenbahnanlagen. Die Gründung geht auf das Jahr 1962 zurück. In Ettlingen schuf das Land Baden-Württemberg eine Auffanggesellschaft für die von der Stilllegung bedrohten Bahn- und Buslinien der privaten DEBG (Deutsche Eisenbahn-Betriebsgesellschaft). Nach der Übernahme der baden-württembergischen DEBG-Betriebe nahm die SWEG 1963 den Geschäftsbetrieb auf. 1971 kam es zur Fusion mit den Mittelbadischen Eisenbahnen Lahr (MEG). Fortan firmierte man als Südwestdeutsche Eisenbahnen Aktiengesellschaft mit Sitz in Lahr. 2018 stand die Verschmelzung der Hohenzollerischen Landesbahn AG mit der SWEG an. Aktuell bedient man Schienenverkehr auf sechs Netzen im Bundesland Baden-Württemberg.

Fahrendes Inventar

Im Laufe der Jahre hat die SWEG Strecken und Fuhrpark ständig modernisiert. Für Aufsehen sorgte 1997 der Nahverkehrsdieseltriebwagen vom Typ »Regioshuttle 1«. Klimaanlagen in Nahverkehrszügen waren bis dahin unbekannt. Für Kritik sorgte das Fehlen der Toiletten. Die Baureihe 650 mit den trapezförmigen Fensterbändern ist auch als Gebrauchtwagen begehrt. Der Bestand an Schienenfahrzeugen ist, inklusive der Tochter SWEG Bahn Stuttgart GmbH, auf 180 Einheiten angewachsen. Darunter sind die Modelle »Talent 3« aus dem Hause Bombardier, »Lint 54« von Alstom und »Regioshuttle 1« von Stadler zu finden.

Batteriezug »Mireo Plus B« im Bahnhof Biberach (Schwarzwaldbahn). Der Batteriezug bedient die Nebenbahnstrecke Biberach–Oberharmersbach (nicht elektrifiziert). Die zweiteiligen Triebwagen sind auf jeder Seite mit drei Türen ausgestattet. (Bild: M. Oestreich).

Batteriezug »Mireo Plus B« im Bahnhof Biberach (Schwarzwaldbahn). Der Batteriezug bedient die Nebenbahnstrecke Biberach–Oberharmersbach (nicht elektrifiziert). Die zweiteiligen Triebwagen sind auf jeder Seite mit drei Türen ausgestattet. (Bild: M. Oestreich).

Seit dem Frühjahr 2024 kommen erstmals in Deutschland Batteriehybridzüge »Mireo Plus B« von Siemens Mobility auf dem Ortenaunetz zum Einsatz. Zwischenzeitlich hat der Linienbusverkehr den größeren Anteil im Unternehmen eingenommen. Die aktuelle Flotte besteht aus 470 Fahrzeugen.

Planungsphase

Trotz aller Fortschritte bei umweltfreundlichen Dieselmotoren befasste man sich in Baden-Württemberg seit rund zehn Jahren mit der emissionsfreien Zukunft des öffentlichen Personenverkehrs. Nach damaligem Stand war die Schiene auf 1491 Kilometern nicht elektrifiziert. Daran hatte die Ortenau einen Anteil von 90 Kilometern. Die Elektrifizierung gilt dort als unwirtschaftlich, wo es an Auslastung fehlt. Untersuchungen belegen, dass eine Elektrifizierung viermal so teuer wie der Einsatz wirtschaftlicher, emissionsfreier Antriebe ist. In einem Schreiben an den Landrat des Ortenaukreises und den Offenburger OB sprach Verkehrsminister Hermann von ». . . nahezu idealen Voraussetzungen für den Einsatz elektrisch angetriebener Züge mit Brennstoffzellen oder Batterien im Ortenaukreis«. Beide Konzepte hat man sich angesehen. Bei der Brennstoffzellentechnik wird mitgeführter Wasserstoff und Sauerstoff aus der Umgebungsluft zusammengeführt. Dadurch wird Wasser freigesetzt. Es entsteht Elektrizität und Wärme. Wasserstoff ist ein farb- und geruchloses, aber hoch entzündliches Gas. Wegen der hohen Tagesfahrleistung müssen Wasserstoffzüge täglich betankt werden. Dieseltriebwagen vom Modell »Regioshuttle« haben eine größere Reichweite und müssen nur alle zwei Tage an den Tankschlauch.

Batteriezüge

Man suchte nach einer Lösung, die den Fahrstrom bei fehlender Fahrleitung aus einem Stromspeicher bezieht. Unter dem Namen »Mireo« wurde auf der Fachmesse InnoTrans 2016 von Siemens Mobility eine neue Baureihe virtuell vorgestellt.

Der »Typ 10« der Scharfenberg-Kupplung hat sich bei Vollbahn-Triebzügen auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr bewährt. (Bild: M. Oestreich).

Der »Typ 10« der Scharfenberg-Kupplung hat sich bei Vollbahn-Triebzügen auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr bewährt. (Bild: M. Oestreich).

Piktogramme weisen den Weg zu den Rollstuhl- und Mehrzweckplätzen für Fahrräder und Kinderwagen. (Bild: M. Oestreich).

Piktogramme weisen den Weg zu den Rollstuhl- und Mehrzweckplätzen für Fahrräder und Kinderwagen. (Bild: M. Oestreich).

Als 2017 die erste Bestellung über 24 Triebzüge mit elektrischem Antrieb einging, war ein Batteriezug noch nicht im Gespräch. Erst als 2023 der erste Triebzug des kostengünstigen dreiteiligen Modells »Mireo Smart« fertiggestellt war, wurde eine zweiteilige Batterievariante des gleichen Modells kommuniziert.

Begegnung zweier Batteriezüge in Biberach. Der linke Zug verkehrt aktuell auf der elektrifizierten Schwarzwaldbahn (Stromabnehmer ausgefahren). Rechts davon ein Zug auf der nicht elektrifizierten Nebenbahnstrecke Biberach–Oberharmersbach (Stromabnehmer eingefahren). (Bild: M. Oestreich).

Begegnung zweier Batteriezüge in Biberach. Der linke Zug verkehrt aktuell auf der elektrifizierten Schwarzwaldbahn (Stromabnehmer ausgefahren). Rechts davon ein Zug auf der nicht elektrifizierten Nebenbahnstrecke Biberach–Oberharmersbach (Stromabnehmer eingefahren). (Bild: M. Oestreich).

Triebzüge der »Mireo«-Familie werden nur mit elektrischem Antrieb angeboten. Ein »Mireo«-Triebzug kann aus zwei bis sieben Einzelwagen bestehen. Endwagen haben eine Länge von 26 Metern, Zwischenwagen sind 19 Meter lang. Varianten für Bahnsteighöhen von 550, 760 und 960 Millimetern sind lieferbar. Wählbar ist die Anzahl der angetriebenen Drehgestelle. In der vierteiligen »Eco«-Version sind nur die Enddrehgestelle angetrieben. So ausgerüstet liegt die Höchstgeschwindigkeit bei 140 km/h, die Beschleunigung bei 0,65 m/s². In der Konfiguration »Speedy« sind vier von fünf Drehgestellen angetrieben. Die Höchstgeschwindigkeit steigt auf 160 km/h, die Beschleunigung auf 1,2 m/s² im Quadrat. Die Innenraumgestaltung ist für den Kunden frei wählbar. Lieferbar sind WLAN, Fahrgastinformationssysteme, Werbebildschirme und Entertainmentsysteme.

Der »Mireo Plus B« wurde für den gemischten Betrieb mit oder ohne Fahrdraht entwickelt. Ein Akku kann im Stand über Ladekabel oder während der Fahrt aus der Fahrleitung geladen werden. Zusätzlich wird Energie, die bei Bremsen und der Talfahrt gewonnen wird, dem Akku zugeführt. Im Akkubetrieb wird die Reichweite mit 80 Kilometern angegeben.  Als Energiespeicher kommen Lithiumtitanat-Akkumulatoren von Toshiba zum Einsatz. Diesen wird eine hohe Zyklenfestigkeit nachgesagt. Der Hersteller garantiert mindestens 40.000 Ladezyklen.

Für den elektrischen Betrieb auf langen Strecken ohne Oberleitung bietet Siemens den Brennstoffzellenzug »Mireo Plus H« an. Eine Brennstoffzelle des kanadischen Herstellers Ballard Power Systems mit einer Nennleistung von 200 kW erlaubt eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h.

Erster Einsatz

So etwas hat der Bahnhof Offenburg schon lange nicht mehr gesehen. Am 8. April hatte der Siemens Batteriezug »Mireo Plus B« seine erste Passagierfahrt. Zu den geladenen Gästen gehörten Repräsentanten aus Verwaltung und Politik, darunter der Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg Winfried Hermann. Nach dem Festakt ging die erste Passagierfahrt mit reichlich Prominenz an Bord nach Oberkirch und zurück. Die ersten Fahrzeuge kamen auf der Strecke Offenburg– Bad Griesbach und Offenburg–Hornberg zum Einsatz. Bis Mai war der Austausch aller Dieseltriebwagen im Ortenaunetz vollzogen. An einigen Bahnhöfen waren die Bahnsteige zu verlängern. Die zweiteiligen Züge haben 120 Sitzplätze, eine Toilette, sind barrierefrei und klimatisiert.

Neues Bahnbetriebswerk

27 zweiteilige Batteriezüge wollen gewartet sein. Zur Instandhaltung und Reparatur der im Netz 8 Ortenau verkehrenden Flotte vermietet die SWEG für 30 Jahre eine neue Halle an Siemens Mobility. Die neue Bahnbetriebswerkstatt im nordöstlichen Teil des Offenburger Bahnhofs erstreckt sich auf 1350 Quadratmeter. Vor Ort sind zwei Grubengleise, Dacharbeitsstände und ein durchgehender Portalkran. Siemens nutzt dabei die Außenwaschanlage der SWEG. Eine Unterflurdrehbank erlaubt das Abdrehen der Radsätze ohne Ausbau. Zusammen mit dem SWEG-Werk entstand in den letzten Jahren auf dem nordöstlichen Gelände des Bahnhofs Offenburg ein Servicecenter für Schienenfahrzeuge.

Verkehrsvertrag für 15 Jahre

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann unterzeichnete mit der SWEG, vertreten durch die Geschäftsführer Tobias Harms und Dr. Thilo Grabo, einen Vertrag über den Betrieb von Netz 8 Ortenau für die Dauer von 15 Jahren.

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