Autonom durch die Lücke: Warum der ÖPNV den Durchbruch bringen könnte

Artikel vom 17. September 2025
Autonome Shuttles

Fahrermangel, steigende Kosten, ländliche Versorgung: Warum der ÖPNV beim autonomen Fahren nicht warten darf – und es auch nicht muss. Stephan Blankenburg, Thomas Haiz und Oliver Wucher von der Wavestone Germany AG erörtern.

Der öffentliche Nahverkehr in Deutschland steht unter Druck. Autonomes Fahren kann der Schlüssel sein, diesen neu aufzustellen – als kluge, zukunftsfähige Infrastruktur für kollektive Mobilität, verlässlich, flexibel und wirtschaftlich. Neu ist die Idee nicht. Deutschland hat bereits 2021, als erstes Land überhaupt, einen nationalen Rechtsrahmen für autonomes Fahren geschaffen. Zahlreiche Pilotprojekte testen seit Jahren, wie autonome Fahrzeuge eingesetzt werden können. Der große Durchbruch ist bislang ausgeblieben. Die Entwicklung verlief langsamer als erhofft – auch, weil es der Technik im Detail an Zuverlässigkeit mangelte. Das hat sich jedoch geändert.

In Städten wie San Francisco in den USA oder Guangzhou in China fahren autonome Fahrzeuge bereits ohne menschliche Fahrer durch komplexe Verkehrssituationen. Unterstützt von Radar, LiDAR und Kameras navigieren Robo-Taxis selbstständig durch dichten Verkehr, reagieren auf unvorhersehbare Szenarien – und sammeln Millionen reale Straßenkilometer. Die Systeme werden besser mit jedem gefahrenen Meter. Mittlerweile funktioniert das beeindruckend zuverlässig. In China ist die Entwicklung der europäischen so weit voraus, dass dazwischen keine Welten mehr liegen, sondern Galaxien. Dank generativer künstlicher Intelligenz können die Fahrzeuge Objekte im Straßenverkehr nicht nur erkennen, sondern auch interpretieren. Ein Gamechanger.

ÖPNV als realistische Chance

Der deutsche Markt ist für die Anbieter dieser autonomen Taxis jedoch faktisch geschlossen. Zwar beteiligen sich deutsche Hersteller an Pilotprojekten im Ausland und kooperieren mit internationalen Partnern, aber wer in Deutschland Personen gewerblich befördern will, unterliegt dem Personenbeförderungsgesetz. Und das lässt derzeit keinen Raum für fahrerlose Fahrzeuge. Entsprechend beschränken sich die Pilotprojekte hierzulande auf den ÖPNV. Der Bereich bietet die besten Voraussetzungen für einen systematischen Roll-out. Autonome Kleinbusse, On-Demand-Shuttles oder Ridepooling-Flotten könnten dünn besetzte Taktlücken schließen und gleichzeitig Personalressourcen schonen. Mehr noch: Sie würden helfen, den Individualverkehr zu reduzieren – und würden ihn nicht einfach fortschreiben, nur in autonom.

Der ÖPNV kann und muss daher für den kommerziellen Durchbruch des autonomen Fahrens in Deutschland sorgen. Pilotprojekte wie »Moia« in Hamburg oder »KIRA« im Rhein-Main-Gebiet sorgen für Hoffnung. Dort testet man umgerüstete »ID.Buzz«-Modelle von Volkswagen beziehungsweise Modelle der Firma NIO im Ridepooling als Ergänzung zum bestehenden Nahverkehr. Noch läuft der Testbetrieb mit Fahrer:innen, in Hamburg soll ab 2027 der vollständig autonome Regelbetrieb starten, »KIRA« startete kürzlich den Praxistest mit Nutzer:innen.

ÖPNV neu denken – und stärken

Der große und zukunftsweisende Vorteil solcher Projekte ist die intelligente Verknüpfung unterschiedlicher Angebote: Linienverkehr, autonome On-Demand-Shuttles und perspektivisch auch autonome Taxi-Services können gemeinsam ein vernetztes und flexibles Mobilitätssystem schaffen, das Versorgungslücken schließt und bedarfsangepasste Lösungen bietet. Kombinierte Modelle können so den klassischen Taktverkehr digital ergänzen – durch buchbare, bedarfsgesteuerte Fahrten, die bestehende Linien sinnvoll verbinden.

Statt unflexibler Einzelangebote und starrer Streckenlogik entsteht dann ein modularer Verkehrsverbund, der sich dynamisch an die Nachfrage anpasst und ideal für Randzeiten, wenig erschlossene Gebiete oder die berühmte letzte Meile ist. Gerade im ländlichen Raum, wo klassische Linienmodelle an ihre Grenzen stoßen, können solche hybriden Konzepte den ÖPNV stärken und neu denken.

Es fehlt an Konsequenz

Technologisch ist dies problemlos möglich. Auch in Deutschland sind durch die diversen Pilotprojekte millionenfach Kilometer und Daten gesammelt worden, die wertvoll sind für die Ausgestaltung und Weiterentwicklung autonomer Lösungen. Die Hürden liegen mittlerweile woanders: in der politischen Zögerlichkeit, in der mangelnden Investitionsbereitschaft und im gesellschaftlichen Misstrauen.

Was jetzt fehlt, ist die Konsequenz: Städte und Verkehrsverbünde können selbst zum Innovationsmotor werden. Ihnen wird kaum eine Wahl bleiben, die strukturellen Schwierigkeiten wie Kostendruck und Personalmangel zwingen den Sektor fast zu zukunftsweisenden Lösungen. Besonders ländliche Räume würden profitieren: mit verlässlicher, autonomer Grundversorgung, wo heute der Bus nur dreimal täglich fährt, oder gar nicht. Autonomes Fahren ist dabei längst keine Technikvision mehr. Es ist eine reale Option für mehr Mobilität, mehr Effizienz und mehr Teilhabe. Vor allem dann, wenn es nicht als Fortschritt für Einzelne verstanden wird, sondern als Infrastruktur für alle.

 

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